„Wichtig ist, welche Geschichte ein Text oder Bild erzählt“

Jürgen Broschart, habilitierter Sprachwissenschaftler und heute Redakteur beim populären Wissenschaftsmagazin GEO, nimmt zunehmendes Interesse für wissenschaftliche Themen unter Nicht-Akademikern wahr. Für Wissenschaftler eine ambivalente Entwicklung.

Natürlich sollten öffentlich finanzierte Wissenschaftler Rechenschaft über ihre Arbeit ablegen. Andererseits kollidiere wissenschaftliches Interesse häufig mit dem, was für Laien attraktiv sei. Dass aber mediale Berichterstattung für Wissenschaftler häufig unbefriedigend ablaufe, schreibt Broschart auch den Forschern selbst zu. „Sie ignorieren einfach zu häufig die Schwerpunkte und Interessen der Medien. Es geht für Journalisten nicht in erster Linie um wissenschaftlichen Fortschritt, eine korrekte Abbildung aller Fakten und auch nicht allein um ästhetische Gesichtspunkte. „Wichtig ist vor allem, welche Geschichte ein Text oder Bild erzählt“, sagt Broschart.

Als Beispiel nennt Broschart Tutanchamun: „Im Fall des ägyptischen Pharaos ist es nicht die modernste digitale Reproduktion in 3-D, was die Menschen so fasziniert. Sie strömen doch zu Hunderttausenden ins Museum oder ins Tal der Könige, weil der Mythos von der Überwindung des Todes sie fesselt“.

Ähnlich sei es bei der journalistischen Aufbereitung von Forschungsergebnissen: Journalisten wollen nicht einfach Sprachrohr der Wissenschaft sein oder Daten wissenschaftlich diskutieren, sondern eine Geschichte erzählen, die den Prozess nachvollziehbar, nahbar und glaubhaft macht. So habe sich bei dem Archäologen, der als erster die minoischen Paläste von Knossos auf Kreta ausgegraben hatte, nach und nach herausgestellt, dass er bei der Interpretation der Daten seiner Phantasie bisweilen freien Lauf gelassen habe. Für Wissenschaftler sei diese Interpretation damit passé. „Aber für Laien ist gerade das der interessante Teil an der Geschichte“, sagt Broschart. Nicht die innerwissenschaftliche Praxis, Forschung als fließenden Prozess zu betrachten, indem ständig  Thesen aufgestellt und verworfen werden, sondern die „Zwischenstände“ einigermaßen gesicherten Wissens seien das, was Journalisten bräuchten: wie die Menschen zur jeweiligen Zeit gelebt haben, welche Opfer sie brachten, warum Zivilisationen untergingen. Und sie suchten vor allem nach einem starken Protagonisten, ungeachtet seiner menschlichen oder wissenschaftlichen Fehler.

„So etwas liefern Forscher aber in den seltensten Fällen“, sagt Broschart. „Wenn uns Forscher ihre Ergebnisse vorstellen, dann hören wir mindestens mit einem Ohr immer, ob sie irgendetwas Persönliches oder Anekdoten aus der Geländearbeit erwähnen – und sind nachher enttäuscht, wenn es beim abstrakt Fachlichen bleibt“, sagt Broschart. Dabei lassen sich in einem Text sogar mehr Ergebnisse transportieren, wenn der Wissenschaftler auch eine Geschichte preisgibt – etwa, woher sein persönliches Interesse oder die Leidenschaft für ein Fachgebiet rührt.

Ein weiteres Problem ist das Misstrauen: „Zu viele Leute haben einfach Angst, ihr Name könnte auf ewig gebrandmarkt sein, wenn mal eine Formulierung in Medien nicht hundertprozentig wissenschaftlich akkurat ist – dabei haben wir bei GEO sogar noch eine eigene Dokumentationsabteilung für den wissenschaftlichen Faktencheck.“ Und wenn etwas schiefgeht, dann liegt es oft an Fachbegriffen selbst: „Die Leute sind verunsichert und verstecken sich hinter Nominalstil-verseuchten Formulierungen, die viel abstrakter sind als eine verbenreiche Sprache“, sagt er. Gerade das aber führe zu Missverständnissen. Ein Wissenschaftler sollte daher Fachbegriffe nicht einfach präsentieren, sondern in verständlicher Sprache erklären.

Umgekehrt gelte eine leicht verständliche Sprache oft von vorneherein als „unwissenschaftlich“. Bei  seinem eigenen Habilitationsvortrag scheiterte Broschart im ersten Anlauf, weil er für den Geschmack mancher Professoren zu „feuilletonistisch“ sprach – „dabei hatte man mich vorher sogar explizit gebeten, allgemeinverständlich zu bleiben“. Ein Jahr später hielt er einen trockenen Fachvortrag und erntete fast 100 Prozent Zustimmung. Auszubrechen, ohne an gängige Formulierungen und Normen anzudocken, werde nicht goutiert, sagt Broschart.

Überhaupt sei sprachliches Verhalten in der Wissenschaft schon selbst ein lohnendes Feld – auch für kritische Journalisten. Wenn er heute Forschungsanträge liest, muss Broschart manchmal schmunzeln: „In der Linguistik benutzt jetzt jeder modische Schlagworte wie „kognitiv“ oder „neuronal“. In der Realität beschäftigen sich die Arbeiten aber immer noch mit Präfixen im Swahili.“ Leider werde Kritik an und in der Wissenschaft zu oft als persönlicher Angriff gewertet, selbst wenn sie lediglich einer wissenschaftlichen Meinung gelte, nicht einer Person oder ihrer Forschungsleistung. Im Bemühen, weder aufzufallen noch Anstoß zu erregen, werde Wissenschaft zum „Wissenschafteln“, gleichsam vor-sich-hin-betrieben, ähnlich dem Briefmarkensammeln.

Jürgen Broschart gab Ende April 2010 Einblick in seine Erfahrungen bei der Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Journalisten. Bereits in einem Vortrag beim Symposium über „Scientific Computing & Cultural Heritage“ Mitte November 2009 in Heidelberg hatte er die Aufgabe gehabt, über das Verhältnis von Wissenschaft und Medien und den unterschiedlichen Umgang mit Daten und Ergebnissen zu sprechen.

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